Werbung und Barrierefreiheit

„Hilfe, die Online-Werbung hat mir ins Ohr gespuckt!“ heißt ein Beitrag im datenschmutz Blog.

Zitiert wird darin ein Facebook Spiel namens Zoo. Ein automatisch spielendes Werbe-Video mit lautem Ton ohne Bedienelemente sei unterhalb der Spielfläche, also bei den meisten Bildschirmen auch unterhalb des sichtbaren Bereichs eingebunden gewesen, ohne Scrollen nicht zu sehen, dafür umso lauter, sehr verwirrend…

Schade, beim Nachprüfen (wann komm ich sonst schon zum Spielen auf Facebook) war kein Werbevideo mehr zu sehen oder zu hören. So aggressiv ist Online-Werbung also im Regelfall nicht. Automatisch spielender Ton ist immer noch ein No-Go.

Aufdringlich muss Werbung aber per se sein, sonst würde sie den immensen finanziellen Aufwand nicht lohnen.

Werbung im Internet liegt laut Online-Standard mit einem Anteil von 18,8 Prozent am gesamten Werbeaufkommen nur noch knapp hinter der Zeitung (19,5 Prozent). Für 2010 soll Online-Werbung in Deutschland ein Gesamtvolumen von mehr als fünf Mrd. Euro erreichen.

Wie soll sie da unaufdringlich, nicht störend und damit auch barrierefrei sein?

Behinderung durch Werbung

Immer neue Werbeformen sind nötig, um dem Gewöhnungseffekt entgegenzutreten. Werbung multimedialisiert sich. Die Skyscraper neben den max. 1000px breiten Websites werden mit zunehmenden Bildschirmgrößen immer voluminöser und dominanter.

Aus den Pop-ups werden Pop-unders, die sich unter dem gerade offenen Browserfenster verstecken. Man findet sie vielleicht erst erst am Ende eines Online-Tages mit leichtem Schrecken, der wohl auch für messbaren Werbeeffekt sorgt.

Flash-Ads mit transparenten Rändern und sehr dezenten Schließen Buttons legen sich über die Website. Hover-Ads klappen bei mouse-over auf und beginnen lauthals und bildschirmfüllend ihre Videobotschaft zu verkünden….

Schokolade Aufklappwerbung
Screenshot eines bei mouse-over aufklappenden Werbevideos: Eine erstaunliche, löbliche Ausnahme. Diese Flashwerbung hatte einen Schließen Button und einen Button, um den Ton anzustellen. Er spielte nicht von allein ab.

Dominante Werbung, die Durchschnitts-SurferInnen höchstens etwas auf die Nerven geht, kann für WebsurferInnen mit Einschränkung zur echten Behinderung werden.

Mit Zoom Software, wo z.B. auf 400% gezoomt nur 1/16 des Bildschirmausschnitts zu sehen ist, ist ein bei mouse-over aufklappendes Flashvideo schwerer wieder zu einem harmlosen Banner zurückzuklappen. Wenn die Anzeige bei Tastaturfokus aufklappt, bleibt sie womöglich offen und spielt weiterhin Ton ab, auch wenn der Fokus bereits woanders ist.

Aufklappwerbung
Screenshot eines Aufklappbanners: Bei reiner Tastaturbedienung spielte der Ton weiter, obwohl der Banner beim Weitertabben wieder zuklappte. Mit Screenreader JAWS stoppte aber auch der Ton vorschriftsgemäß.

Alles, was heutzutage um etwas wirbt, bewegt sich länger als die für Barrierefreiheit zugestandenen 5 Sekunden und kann so zur massiven Störung werden.

Sind die werberechtlich vorgeschriebenen Schließen Buttons für Layer-Ads immer tastaturbedienbar? Wahrscheinlich nicht. Man kann nur hintabben und es ausprobieren.

Schließen Button in Flashwerbung
Screenshot Ausschnitt von Flashwerbung: Dieser Flash Skyscraper ließ sich mit Maus und Tastatur schließen.

Recht auf Werbung

Wie kann Online-Werbung andererseits für marginale Zielgruppen wie blinde oder gehörlose WebkundInnen verständliche Inhalte liefern, wenn es primär um Klickraten geht?

Solange Menschen mit Behinderung nicht ihr Recht auf Werbung einklagen, wird sie ihnen zum Teil wohl einfach erspart bleiben.

Untertitelung und Audiodeskription von Werbevideos klingt ziemlich unrealistisch.

Nicht einmal Alternativtext, der den simplen Werbeinhalt eines einfachen kleinen Banners transportiert, scheint machbar. Alternativtexte bei Werbebannern fehlen häufig überhaupt, d.h. Screenreader lesen nur unverständliche Pfade (JAWS den Bildpfad, NVDA den Linkpfad). Fehlt der Alternativtext nicht, ist er oft wenig sinntragend.

Flashwerbung hat meist kein title Attribut. Screenreader bekommen also nicht mehr als die Information „Flashfilm Start“ und „Flashfilm Ende“ geliefert.

Barrierefreie Werbung

Die WCAG, die Richtlinien für barrierefreie Webinhalte, betrachten Werbung als Webinhalt wie jeden anderen, sie wird nicht groß gesondert erwähnt. Werbung muss sich ebenso an den WCAG Erfolgskriterien messen wie alles andere.

Nur im Dokument „Understanding WCAG“ gibt es 2 Beispiele, die Werbung betreffen: Ein Berbebanner, dessen Animation nach 5 Sekunden stoppt, ist WCAG konform. Ebenso ist eine länger dauernde ganzseitige animierte Anzeige ohne Stoppbutton erlaubt, wenn kein Content daneben rezipiert werden muss und alle User die Anzeige ansehen müssen, um zum Content zu gelangen.

In den „Techniques for WCAG“  findet sich nichts zu Werbung.

Auch die ATAG, die Authoring Tool Accessibility Guidelines, erwähnen AdServer Software, mit der Anzeigen verwaltet und geschalten werden, nicht gesondert.

Auch hier gilt die allgemeine Regel, dass der Output barrierefrei möglich sein muss. D.h. Alternativtext für Grafiken muss möglich sein. Flashbanner sollten mit title Attribut versehen werden können.

Hintertürchen auf

Die Web Accessibility Initiative (WAI) ist sich aber wohl bewusst, dass Werbeinhalte von Dritten schwer zu kontrollieren sind. Deshalb kann man eine Erklärung partieller WCAG Konformität abgeben, wenn automatisch Inhalte von externen Quellen, wie etwa Anzeigen, in eine Website eingefügt werden.

Hintertürchen wieder zu

Allerdings müssen auch dann einige Kriterien erfüllt sein, damit der Rest der Website ungehindert genutzt werden kann.

Die folgenden 4 WCAG Erfolgskriterien gelten für sämtlichen Inhalt einer Seite einschließlich Inhalt, auf dessen Konformität man sich sonst nicht verlassen kann:

  • 1.4.2 – Audio-Steuerelement,
  • 2.1.2 – Keine Tastatur-Falle,
  • 2.2.2 – Pausieren, beenden, ausblenden und
  • 2.3.1 – Grenzwert von dreimaligem Blinken oder weniger

WCAG Muss Kriterien für Werbung

„1.4.2 – Audio-Steuerelement: Wenn Audioinhalt auf einer Webseite automatisch für mehr als 3 Sekunden abgespielt wird, dann gibt es entweder einen Mechanismus, um die Wiedergabe zu pausieren oder zu beenden, oder es gibt einen Mechanismus, um die Lautstärke unabhängig von der allgemeinen Systemlautstärke zu regeln.„

Störfaktor ist automatisch spielender Ton besonders für User von Screenreadern oder Zoomsoftware, weil er parallel zur Vorlesefunkion spielt. Ton muss sich also stoppen lassen, und der Stoppbutton oder Lautstärkeregler muss am Anfang der Seite erreichbar sein (z.B. durch einen Skiplink). Im Idealfall sollte Ton erst durch Nutzeraktion ausgelöst und wieder beendet werden.

Playercontrols bei Falshwerbung
Screenshot: Flashwerbevideo mit Player-Controls. Die Kontrolle liegt bei den WebbesucherInnen

„2.1.2 – Keine Tastatur-Falle:  Wenn der Tastaturfokus durch eine Tastaturschnittstelle auf einen Bestandteil der Seite bewegt werden kann, dann kann der Fokus von diesem Bestandteil weg bewegt werden, indem man nur die Tastaturschnittstelle benutzt…„

Probleme hier treten eher bei komplexeren Applikationen, nicht bei Werbebannern auf.

„2.2.2 – Pausieren, beenden, ausblenden: Für alle sich bewegenden, blinkenden oder scrollenden Informationen, die (1) automatisch beginnen, (2) länger als 5 Sekunden dauern und (3) parallel zu anderen Inhalten dargestellt werden, gibt es einen Mechanismus für den Benutzer, um diese zu pausieren, zu beenden oder auszublenden…“

Das heißt Stopp Button, jedenfalls eine Möglichkeit, die Werbung zu schließen, mit Maus und Tastatur (z.B. mit der ESC Taste). Problematisch ist sowohl, dass sich bewegender Inhalt schwerer erfassbar ist, als auch, dass er für manche WebleserInnen massive Ablenkung bedeuten kann und der eigentliche Seitennhalt nicht mehr aufgenommen werden kann.

„2.3.1 – Grenzwert von dreimaligem Blinken oder weniger: Webseiten enthalten nichts, was öfter als dreimal in einem beliebigen, eine Sekunde dauernden Zeitraum blitzt, oder der Blitz ist unterhalb der allgemeinen Grenzwerte zu Blitzen und roten Blitzen. „

Die Berechnung der messbaren Grenzwerte ist für Normalsterbliche schwer nachvollziebar. In der Regel ist „normale“ Banner- oder Videowerbung davon aber nicht betroffen.

Gute Praxis für Werbung

Wie für Webcontent generell ist gute Strukturierung wichtig. Werbeblöcke sollen angekündigt werden.

Eine versteckte (aus dem Viewport geschobene) Headline „Werbung“ gibt blinden Menschen Orientierung, dass sie nachfolgenden ev. unverständlichen Inhalt überspringen können.

Werbeblöcke sollten aber auch für sehende User gekennzeichnet sein.

Werbung, die als Content getarnt ist, muss ebenfalls klar sichtbar (das heißt auch mit ausreichend kontrastreicher Schrift) als Werbung deklariert sein. Die messbare „Luminosity Contrast Ratio“ von Vorder-und Hintergrund von 4,5:1  bzw. 3:1 bei sehr großer Schrift gilt für jede Art von Webcontent.

Content Werbung
Screenshot: Content Werbung, relativ dezent, aber gerade ausreichend (Kontrastverhältnis von Schrift und Hintergrund 4,6:1) als solche deklariert.

Iframes, die Werbung einbinden, benötigen verständliche name und title Attribute, die klar machen, dass Werbung der Inhalt ist.

Bedienelemente in der Werbung (wie das Schließen Kreuz) müssen gut sichtbar und tastaturbedienbar sein.

Alt Attribute für Grafiken und title Attribute für Flashwerbung müssen zumindestens die Funktion „Werbung“ transportieren, gute Praxis ist, sich sinnvolle, aber nicht zu umfangreiche Alternativtexte zu überlegen.

Best Practice für Werbung

Best Practice  ist bewusst englisch formuliert, weil es im deutschsprachigen Raum hier keine Vorreiter Ambitionen gibt.

Der Yahoo Blogbeitrag von Victor Tzaran „Accessibility in ads“ zeigt Beispiele von Audiodeskription und Captioning (Untertitelung) für Werbung.

Wer wirklich barrierefreie Werbung schalten will, muss sie an folgenden 13 WCAG Erfolgskriterien überprüfen, hier gereiht nach den den quasi Muss-, Soll und Kann Bestimmungen für Accessibility, Level A, Doppel A und Triple A:

  • Alternativtexte für Bilder (A) 1.1.1
  • Alternativtexte für Videos ohne gesprochenen Text (A) 1.2.1
  • Untertitel für Videos mit Text (A) 1.2.2
  • Ton pausierbar, stoppbar, ausblendbar (A+) 1.4.2
  • Bewegung, Animation pausierbar, stoppbar, ausblendbar (A+) 2.2.2
  • Lichtblitze (A) 2.3.1, (AAA) 2.3.2
  • IFRAMES mit TITLE (A) 2.4.1, 2.4.2
  • Linkziele verdeutlichen (durch klare, eindeutige alt oder title Attribute) (A) 2.4.4
  • Werbe-Abschnitte kennzeichnen bzw. überspringbar machen (A) 2.4.1 , (AA) 2.4.6
  • Änderung des Kontextes bei Fokus (neue Fenster, Popup) (A) 3.2.1
  • Vermeiden von Text als Grafik bzw gute Skalierbarkeit (gilt nicht für
    CI-Schriftzüge, Logos) (AA) 1.4.5
  • Sichtbarer Tastaturfokus (AA) 2.4.7
  • Gebärdenspracheübersetzung für Videos mit Text (AAA) 1.2.6

In Zukunft bitte Werbung für alle

Natürlich kann man diskutieren, ob einem Werbeinhalte nicht unzugänglich im Sinn von – ich bekomme sie nicht mit – fast lieber sind.

Ziel der Werbung der Zukunft ist aber laut dem oben bereits zitierten Beitrag im Onlinestandard „Online-Werbung will nicht mehr nerven„, dass sie erwünschter Inhalt wird. Und dann bitte für alle!

Amazon kennt mich jetzt schon besser, als mich meine Freunde kennen, und empfiehlt mir die Bücher, die ich wirklich haben will.

Mit Targeting und Geolocation bekomme ich den 10% Gutschein für die Winterstiefel, die ich gerade suche, gerade dann aufs Smartphone, wenn ich beim Schuhgeschäft vorbeispaziere. So stelle ich mir das vor…

Bis es soweit ist, kann ich aber auch den Addblocker angeschalten lassen..

Quellenangabe: Alle gezeigten Werbebeispiele vom Online Standard: 6.10.2010.

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