Sie kennen Bobby nicht? Bobby ist, eigentlich war (heute webxact), ein automatisches Testwerkzeug zur Überprüfung der Barrierefreiheit von Websites. Er steht hier – nicht zuletzt wegen seiner Verbreitung und Bekanntheit – stellvertretend für alle automatische Accessibility Testtools.
Schön, aber wo liegt das Problem?
Dazu eine kleine Geschichte …
Herr P. ist Webentwickler in einer großen Institution und bekommt von seiner Abteilungsleiterin den Auftrag, die Erfüllung gesetzlicher Anforderungen zur Barrierefreiheit sicherzustellen. Um das zu überprüfen wählt er eines der gratis verfügbaren Tools und testet ausgewählte Seiten seiner Website auf Barrierefreiheit.
Das Ergebnis frustriert Herrn P.: Zahlreiche Fehlermeldungen und jede Menge Warnungen und das obwohl ein Relaunch erst relativ kurz zurück liegt. So kann er auf keinen Fall zu seiner Chefin gehen! Also macht er sich mit Hilfe der Fehlerliste an die Arbeit. Die englischsprachigen Erläuterungen zu jedem Fehler bzw. zu jeder Warnung überliest er gleich mal – er muss ja rasch die roten und gelben Warnicons weg bekommen.
Als erstes werden die Alternativ-Texte ergänzt: Leere Alt-Attribute werden durch „Schmuckzeile“ oder „Trennelement“ ersetzt. Das Suchfeld bekommt ein Fieldset- und ein Legend-Element, weil es offensichtlich so gewünscht wird. Beim Javascript, das für nette optische Effekte sorgt, wird ein Noscript-Bereich eingepflegt. Dort steht „Schalten Sie Javascript ein“. Und schließlich wird jedes Onclick-Attribut um ein Onkeypress ergänzt. Man muss ja auch auf TastaturbenutzerInnen Rücksicht nehmen. So geht es munter weiter bis alle Warnungen und Fehler „beseitigt“ sind. Dann stellt er noch das WCAG-AA Logo auf die Website und geht in der Hoffnung auf eine Gehaltserhöhung zu seiner Chefin.
Doch schon nach wenigen Tagen trudeln die ersten Beschwerden von BenutzerInnen mit Behinderung ein. Herr P. versteht die Welt nicht mehr …
Warum man in fünf Minuten eine auf automatische Testwerkzeuge optimierte Website erkennt
Was ist passiert? Die vielen Änderungen mögen vielleicht Bobby zufrieden gestellt haben. Den betroffenen BenutzerInnen helfen Sie aber unter Umständen nicht – in ziemlich vielen Fällen können sie sogar zu einer merklichen Verschlechterung führen.
Werden beispielsweise Elemente durch Grafiken getrennt, deren Alt-Text das Wort „Trennelement“ enthält, so hört sich das für Screenreader-BenutzerInnen so an: Home Grafik Trennelement Über uns Grafik Trennelement …
. Oder man kommt als TastaturbenutzerIn in machen Browsern mit der Tab-Taste über einen Link mit dem Onkeypress-Eventhandler nicht mehr hinaus, da bei jedem Tab die entsprechende Aktion ausgelöst wird. Die Seite wird beinahe unbenutzbar.
Für Menschen, nicht für Maschinen optimieren
Ein wesentlicher Aspekt der barrierefreien Webgestaltung ist es daher, ein entsprechendes Verständnis dafür zu erlangen, wie Menschen mit Behinderungen das Web benutzen.
Dementsprechend ist das Testen nach unterschiedlichen Methoden eine weitaus wichtigere Aufgabe als das Abhaken der WAI-Checklisten. Unter diesen Umständen kann man beim einen oder anderen veralteten oder schwer zu erfüllenden und vielleicht weniger wichtigen Punkt durchaus mal kulant sein. Doch man sollte immer wissen, was man tut.
Im Idealfall gibt es auch ein kleines Budget, mit dem man echte Benutzertests durchführen kann – und zwar mit dem Ziel Problemstellen zu finden, und nicht um die eigene Website weißzuwaschen.
Bobby & Co – wirklich zu 99% böse?
Sind nun wirklich alle Testtools schlecht für die Barrierefreiheit? Nein, natürlich nicht!
Erstens haben sich die Tools seit Bobby deutlich weiter entwickelt.
Und zweitens kann man mit den Tools – das entsprechende Fachwissen vorausgesetzt- beispielsweise überprüfen, ob man auch wirklich nichts übersehen habt. Natürlich immer ohne Gewähr.
Nach meiner Erfahrung sind sie jedoch dann am sinnvollsten, wenn man alle Templates (Seitentypen) fachlich fundiert manuell getestet hat, und die Inhalte über viele Seiten gleichen Typs prüfen möchte.
Automatische Testtools – eine vergleichende Marktübersicht
Wir von WIENFLUSS haben uns vorgenommen, in den nächsten Wochen aktuelle Testtools zu prüfen und das Ergebnis hier im WIENFLUSS Blog zu veröffentlichen. Wir freuen uns natürlich, wenn Ihr uns eure Lieblingstools mitteilt.
Ein Beitrag im Rahmen der Accessibility Blog Parade 2007.
Manueller Trackback:
[…] Wie das abläuft, wenn ein Chef – zurückgekommen von einer der vielen Konferenzen – einen Barrierefrei-Auftrag an einen Mitarbeiter gibt, wird sehr anschaulich im Wienfluss-Weblog beschrieben. […]
Hi, ich weiss nicht, was Du Dir konkret unter „Testtools prüfen“ vorstellst, ich hatte da mal das „Designministerium“ in der Mache, vlt. als Anregung: http://trash-wissen.de/2007-08-19/ist-designqualitaet-messbar/